Süss, fein, trügerisch: Wie viel Schweiz steckt wirklich in der berühmten Schoggi?
Kaum ein Produkt steht international so sehr für die Schweiz wie Schokolade. Das Bild von grünen Alpen, glücklichen Kühen und technischer Innovation dient als Symbol für Qualität und Reinheit – und ist doch ein sorgfältig konstruiertes Narrativ. Was also steckt wirklich hinter dem Begriff «Schweizer Schokolade»? Wie viel Schweiz ist tatsächlich in der berühmten Schoggi enthalten?
Autorin: Andrea Hüsser, Good Chocolate Hub. Veröffentlicht im: CriolloQuetzal Schokoladenblog
Beginnen wir mit der Aktualität: Anfang Juli 2025 brachte das Seco für die Schweiz zusammen mit den anderen EFTA-Staaten[1] den Mercosur-Deal[2]unter Dach und Fach – ein Freihandelsabkommen, von dem die Schweizer Schokoladeindustrie voraussichtlich deutlich profitieren wird. Denn damit ist der Weg geebnet für die zollfreie Einfuhr der sogenannten nationalen Erfolgsgeschichte «Schweizer Schokolade» nach Brasilien Argentinien, Uruguay, Paraguay und Bolivien. Ein Schlag ins Gesicht für den lokalen Schokoladesektor Brasiliens, eines der wenigen Länder, das den selbst produzierten Kakao für die eigene Schokolade- und Kakaoverarbeitung verwendet.
Erste Widersprüche
Wer beginnt, über das übliche Narrativ von Schokolade hinauszudenken, stösst schnell auf Widersprüche. Die häufen sich noch mehr, wenn das Wort «Schweizer» vor die Schokolade gehängt wird. Denn die Hauptzutat, Kakao, wächst gar nicht in der Schweiz – auch nicht in der Nähe. Auch das Sinnieren über die Herkunft des Wortes «Schokolade» macht stutzig; stammt es doch ursprünglich aus dem Spanischen «chocolate», das seinerseits wahrscheinlich auf das Nahuatl-Wort «xocolatl[3]» zurückgeht. So ist die Schokolade denn auch ursprünglich nicht in der Schweiz, sondern in Mexiko zum Star geworden – bereits vor 3000 Jahren durch die Olmekische Kultur. Die ältesten Spuren von Kakao als Kulturgut sind mit 5000 Jahren gar noch älter und wurden im oberen Amazonasgebiet an der heutigen Grenze zwischen Ecuador und Peru entdeckt. Seit so vielen Jahren wird Kakao in Süd- und Mesoamerika also bereits als Getränk, in Zeremonien, als Zahlungsmittel, in der Medizin und als Schokolade genutzt.
Wie war das mit der nationalen Erfolgsgeschichte?
Mit diesen an sich schlüssigen Argumenten im Kopf, lese ich die Antwort der KI, auf meine Frage, ob die Schweizer Schokolade tatsächlich als eine nationale Erfolgsgeschichte durchgeht, die klar und deutlich lautet: «Ja, man kann mit Fug und Recht sagen, dass die Schweizer Schokolade eine nationale Erfolgsgeschichte ist.» Die Maschine rattert dann auch ungefragt die dafür gängigen «Beweise» runter und erklärt, wie die Pionierleistungen und Innovationen von Schweizer Chocolatiers wie François-Louis Cailler, Philippe Suchard, Rodolphe Lindt und Henri Nestlé mit Daniel Peter bahnbrechenden Erfindungen die weltweite Schokoladenindustrie prägten – dazu zählten die mechanisierte Schokoladeproduktion, das Conchierverfahren und die Erfindung der Milchschokolade. Was die KI interessanterweise nicht erwähnt, ist die gerissene Marketing-Strategie, welche die Herren gefahren sind, insbesondere Theodor Tobler, der bereits in den 20er-Jahren grosse Summen in Werbung für seine Toblerone investierte.
Die Erfindung des Mythos: Schokolade als Schweizer Identität
Zwei Werbestrategien prägten das Klischee der Schweiz als Schoggi-Land besonders: Exotische Motive, welche die Herkunft des Kakaos symbolisieren, die jedoch oft rassistische und sexistische Klischees zeigten, mehrheitlich über ein imaginiertes Afrika. Über die Jahre gewann das Motiv der Berggipfel und Milchkühen als idyllisches Alpenland inszeniert Überhand– mit folkloristischen Bildwelten fürs Heimatgefühl. Das wirkte beruhigend angesichts von Industrialisierung und Urbanisierung und bildet eine Parallele zur Förderung des volkstümlichen Brauchtums und des Alpentourismus. So wurde aus der Schoggi ein lokales Produkt, das seither der nationalen Identitätsbildung dient.
Und in der Geschichte der Schweizer Schokolade steckt noch mehr: Lies den ganzen Artikel im Criollo Quetzal Schokoladenblog und erfahre wie der globale Erfolg der Schweizer Schokolade mit wirtschaftlichen Interessen, kolonialen Verflechtungen und einer clever konstruierten Marke verbunden ist – entdecke, was sich wirklich hinter dem Mythos «Schweizer Schokolade» verbirgt.
[1] EFTA-Staaten: Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz, [2] Mercosur-Staaten: Brasilien, Uruguay, Paraguay, Argentinien, Bolivien, [3] Das Wort bezeichnete ursprünglich ein Getränk aus Kakao, Wasser und Gewürzen – also das, was wir heute als „Kakaogetränk“ oder „heisse Schokolade“ kennen. Nahuatl ist die Sprache der Azteken. Die Herkunft des Wortes «Schokolade» ist allerdings nicht eindeutig geklärt. Sicher ist: Der Ursprung liegt in den indigenen Sprachen Mittelamerikas, aber die genaue Zusammensetzung bleibt umstritten.